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Auslegungsregel bei Forderungsvermächtnis: Sparvermögen kann Ersatz für die ursprünglichen Anleihen darstellen

Lässt ein Erblasser dem Bedachten lediglich einzelne Gegenstände zukommen, spricht man in Abgrenzung zu einer Erbeinsetzung von einem Vermächtnis. Damit kann auch eine Forderung verbunden sein, was nach Eintritt des Erbfalls mit dem Gegenstand geschehen soll. Im folgenden Fall musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) entscheiden, was mit einer als Vermächtnis bestimmten Geldsumme zu geschehen hat, die von einem Wertpapierdepot zu einem Festgeldkonto gewandert war und somit nicht mehr in den eigentlichen Wortlaut des Vermächtnisses fiel.

Die Erblasserin hatte im Jahr 2010 ein notarielles Testament errichtet und darin eine in ihrem Eigentum stehende Immobilie dem Alleinerben zugewendet. Darüber hinaus ordnete sie an, dass ihre Wertpapiere in Höhe von "derzeit 780.000 EUR" von dem Erben verkauft und der Erlös zu einem Anteil von je einem Sechstel an namentlich genannte Personen ausgezahlt werden soll. Als die Erblasserin im Jahr 2019 verstarb, wies das Wertpapierdepot jedoch nur noch einen Wert von rund 100.000 EUR auf - denn bereits zu Lebzeiten der Erblasserin waren Gelder aus dem Depot auf ein Festgeldsparkonto eingezahlt worden, das zum Todeszeitpunkt einen Wert von etwa 740.000 EUR ausmachte.

Das OLG kam bei der Auslegung des Testaments zu dem Ergebnis, dass die Auslegungsregel für Forderungsvermächtnisse zugrunde zu legen sei: Weist das Wertpapierdepot zum Todeszeitpunkt einen geringeren Betrag auf, weil Rückzahlungen aus Anleihen auf einem Festgeldkonto angelegt worden sind, muss der Erbe beweisen, dass die Erblasserin nicht den Willen hatte, die Vermächtnisnehmer auch mit dem so entstandenen Sparvermögen zu bedenken, das einen Ersatz für die ursprünglichen Anleihen darstellt. Diesen Nachweis konnte der Erbe nicht führen, so dass das OLG entschied, dass den Vermächtnisnehmern ein Anteil von einem Sechstel an dem Vermögen auf dem Festgeldkonto zusteht.

Hinweis: Verändert sich das Vermögen des Erblassers zwischen Errichtung der letztwilligen Verfügung und Erbfall, ist zu ermitteln, ob es dem Erblasser auf eine bestimmte Beteiligung am Nachlass oder auf die Zuwendung eines bestimmten Gegenstands ankam.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 05.04.2022 - 10 U 200/20
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2022)